36 für politische Bildung herausgegeben.1 Die Organisation der Besuche der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter an diesen Orten er- forderte einiges an Logistik: Neben den Dolmetschenden waren Personen nötig, die Fahrdienste übernahmen und unsere Gäste an die oft entlegenen Orte brachten. Im Laufe der Jahre lernten wir eine ganz andere Topografie Hamburgs kennen, abseits von touristischen Stätten, und wir erhielten die Bestätigung, dass Zwangsarbeitskräfte tatsächlich überall in der Stadt ein- gesetzt gewesen waren. Neu war für uns auch, dass die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, verglichen mit den KZ-Häftlingen, damals viel mehr von Hamburg gesehen hatten – sie erinnerten sich an den Hafen, an den alten Elbtunnel, an das Bismarckdenkmal, an Bunker und vieles mehr –, und sie äußerten den Wunsch, auch diese Orte noch einmal zu sehen. Viele brach- ten Fotos und Dokumente mit – auch das hatten wir bei KZ-Häftlingen, denen alle persönlichen Dinge bei der Einlieferung ins KZ abgenommen worden waren, nicht erlebt. Diese Fotos und Dokumente bieten einen indi- viduellen Einblick in die Alltagssituation der Zwangsarbeitskräfte und wir bemühten uns, von diesen wichtigen Quellen Reproduktionen anzuferti- gen. Wir erlebten, dass in gemischten Gruppen mit Frauen und Männern eine andere Stimmung herrschte, als in reinen Männergruppen, wie sie die Gruppen der ehemaligen KZ-Häftlinge des KZ Neuengamme in der Regel waren. Auch das Durchschnittsalter unserer Gäste veränderte sich im Laufe der Jahre: Während wir anfangs Personen der Geburtsjahrgänge 1925 bis 1929 einluden, wurden die Gäste im Folgenden immer jünger – bis hin zu den 1944 oder 1945 in Hamburg geborenen Kindern von Zwangsarbeite- rinnen. Unsere jüngeren Gäste waren vergleichsweise mobil und äußerten andere Wünsche als die Älteren. Ebenso konnten wir beobachten, dass die Fremdheit unserer Gäste angesichts des westdeutschen Lebenswandels und Stadtbildes in dem Maße abnahm, wie der Zusammenbruch der Sowjet- union weiter zurücklag (für die polnischen Gäste war der ›Kulturschock‹ von Anfang an geringer). Im Rückblick auf dreizehn Jahre Besuchsprogramm wird erst jetzt deutlich, wie vielschichtig die Erfahrungen und Beobachtungen in diesem Zeitraum waren, und man hätte sich gewünscht, dass der eine oder andere Aspekt in Form einer ›Langzeitstudie‹ festgehalten worden wäre. So bleibt vieles nur in der Erinnerung der Beteiligten erhalten. Greifbar dagegen ist der 226 Filme umfassende Bestand der lebensgeschichtlichen Interviews der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die entweder verschriftlicht und übersetzt oder zumindest verschlagwortet sind. Damit sind die Interviews, die eine Vielzahl von Informationen über das Leben in den von Deutschland besetzten Ländern (Polen und Sowjetunion), über die Rekrutierung und Verschleppung von Menschen nach Deutschland 1 Die Lagerkarte wurde auch im Internet unter www.zwangsarbeit-in-hamburg.de veröffentlicht.