20 Arbeitskräftebedarf Hamburgs zu Beginn des Krieges Die Hansestadt Hamburg war in den 1930er-Jahren nach Berlin die zweit- größte Stadt und mit ihrem Hafen eine der bedeutendsten Handelsmetro- polen des Deutschen Reiches. Der Leiter des größten Industrieunterneh- mens der Stadt, der Großwerft Blohm & Voss, Rudolf Blohm, stellte im Bericht zur Struktur der Hamburger Wirtschaft für das Jahr 1940 fest: »Mit ca. 185 000 Industriearbeitern in 2000 Industriebetrieben und mit einem großen leistungsfähigen Handwerk ist Hamburg heute das nordwestdeut- sche Industriezentrum und einer der großen Industrieplätze des Reiches.« 3 Nach Angaben der Industrie- und Handelskammer in Hamburg arbeiteten rund 80 Prozent der Industrie des Kammerbezirks für die Rüstung, eine Zahl, die sich bis 1943 noch auf über 90 Prozent erhöhen sollte.4 Bis Kriegsbeginn gab es nur eine unbedeutende Zahl von ausländischen Arbeitskräften in Hamburg, insbesondere waren die Rüstungsgüter pro- duzierenden Industriebetriebe nach Ansicht von politischer Führung und Wirtschaftsvertretern der Hansestadt für die Beschäftigung von Auslände- rinnen und Ausländern ungeeignet. Doch schon im Frühjahr 1940 bezeich- nete das Hamburger Arbeitsamt den aktuellen Bedarf an Arbeitskräften als »geradezu astronomisch« hoch und äußerte Zweifel daran, ob die starke Nachfrage befriedigt werden könne. Ein interessantes Licht auf Planungs- defizite in der rechtzeitigen Versorgung der Betriebe mit Arbeitskräften werfen die Reden des Präses der Industrie- und Handelskammer vor der Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns im Dezember 1940 und 1941: »Während wir in den letzten Jahren dachten, dass die Hauptschwierig- keiten für die Industrie während eines Krieges in der Rohstoffbewirtschaf- tung liegen werde, hat sich die Situation in diesem Jahr dahin gewandelt, dass die Industrie ihre schwierigsten Engpässe in erster Linie in dem Man- gel an Arbeitskräften, vor allem an Facharbeitern zu sehen hat.« »1941 bestand noch ein Schwebezustand zwischen Kriegs- und Frie- densaufgaben, der uns glauben ließ, der Krieg ginge schnell zu Ende und es sei daher richtig, sich rechtzeitig auf den Frieden vorzubereiten. Heute aber besteht nur die eine klare Forderung, aus der Wirtschaft herauszuholen, was nur irgendwie geht, um das Kriegspotential zu stärken.« 5 Es fehlten außer Metallarbeitern Arbeitskräfte für die Fertigungsindus- trie und die Bauwirtschaft, es fehlten Arbeitskräfte in Handwerksbetrieben und in der Versorgungsindustrie (so in der Hamburger Fischwirtschaft), es fehlten Arbeitskräfte in allen öffentlichen Sektoren. 3 Staatsarchiv Hamburg, B & V 1411, Unterakte 1940 – 1941. 4 Friederike Littmann, Ausländische Zwangsarbeiter in der Hamburger Kriegswirtschaft 1940 – 1945, in: Frank Bajohr/Joachim Szodrzynski (Hg.), Hamburg in der NS-Zeit. Ergebnisse neuerer For- schungen, Hamburg 1995, S. 175–197, hier Anm. 29. 5 Reden des Präses der IHK, in: Hamburg und die Nordmark, Zeitschrift der Wirtschaftskammer Nordmark, Mitteilungen der IHK Nr. 2, 10.1.1941, S. 41/12 und Nr.1/2, 9.1.1942, S. 5.