Anstieg der Scheidungen - die Män- ner wollten keine befreite Person. Sie haben nicht verstanden, dass eine befreite Person eine Person we- niger ist, die sie tragen müssen. Sie (eine befreite Frau) wird sich selbst tragen und ich als Ehemann muss nur mich selbst tragen. Aber das ha- ben sie nicht verstanden. Wissen Sie, ich glaube die Leute wünschten, ich wäre dumm gebo- ren. Die Leute vermeiden die Wahr- heit. Das will ich nicht. Je mehr wir reden, desto mehr werden die Leute denken. Es ist auch eine Art Rebel- lion gegen meine Eltern, gegen die Autorität und gegen die Unterdrü- ckung, der ich und meinesgleichen ausgesetzt sind. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen, ich würde meine Identität als Parsi, schwul und dann vielleicht als indisch einstufen. Wie von einigen Psychologen angemerkt, „weiß ein Kind tief im Inneren, dass es schwul ist, bevor es seine Nationalität kennt“. Sie verkörpern die Idee des „Persönlichen als Politisches“. Denken Sie selbst so? Natürlich. Es gibt nichts anderes. Al- les ist persönlich und alles ist poli- tisch. Eines Tages sagte ich zu mei- nem Vater, ich würde nicht an Politik glauben. Daraufhin sagte mein Va- ter: „Schau, mein Sohn, alles ist Poli- tik. Die Tatsache, dass ich hier sitze, wo ich sitze, und die Tatsache, dass du nicht hier sitzt, wo ich sitze... das ist die Position, an der sich Macht und Politik abspielen. Macht ist Poli- tik. Der Mangel an Macht ist auch Politik. Alles ist Politik.“ Natürlich versuche ich nicht, die Leute mit der Macht, die ich habe, zu verärgern. Ich sage, was ich zu sa- gen habe, so höflich wie möglich. Die Leute reagieren, indem sie sagen: „Hoshang ist elitär“. Ich sage, dass ich zwar einer Elite zugehörig bin, aber mich selbst deklassiert habe, indem ich im schwulen Ghetto in De- lhi lebte und Begriffe wie Elitismus, Kastendenken, Privilegien, Macht und Ohnmacht dekonstruierte. Aber das wissen sie nicht. Sie sehen nur meine Wurzeln. Wie war die Reaktion auf Ihr erstes Buch, als es herauskam? Texte sind in Rebel Angel erschie- nen, einer Zusammenstellung mei- ner Arbeit der letzten 20 Jahre. Die- ses Buch enthält das Beste von mir aus diesen 20 Jahren. Oh, als mein erstes Buch veröffent- licht wurde, dachte ich wirklich, sie würden mich lynchen. Ich dachte, es würde die Leute wütend ma- chen. Aber es ist nichts passiert! Wenn man jemanden umbringen will, macht man das am besten, in- dem man ihn ignoriert. Und genau das ist passiert. Alle, die empört oder interessiert hätten sein sollen, haben meine Arbeit ignoriert, bis sie es nicht mehr konnten. Wie sieht es mit den Reaktionen der schwulen Community im Land aus? Ich möchte mit meinen Büchern die- jenigen erreichen, die nicht wissen, dass sie offen mit ihrer Identität um- gehen können und sich nicht dafür schämen müssen. Ich möchte, dass meine Bücher den am meisten aus- gegrenzten Mann im abgelegensten Dorf erreichen. Das ist alles. In die- sem Zusammenhang war ich über- wältigt, als ich eines Tages an mei- nem Geburtstag einen Anruf von einer mir unbekannten Person er- hielt. Er sagte, er spreche kein Eng- lisch, könne aber lesen und ein wenig verstehen. Seine Familie schikanier- te ihn, weil er schwul ist, und er war kurz davor, sich das Leben zu neh- men. Er fand irgendwo eines meiner Bücher und erkannte, dass, wenn dieser alte Mann, der in dem Buch schwafelt (ich), sich immer noch wei- gert, dem gesellschaftlichen Druck nachzugeben und zu sterben, war- um sollte er es dann tun? Das war wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich hätte nie gedacht, dass ich ein Leben retten könnte! Darüber hi- naus spielt es keine Rolle, was die Gesellschaft, die Gemeinschaft, die Kritiker über meine Arbeit oder mich denken. Haben Sie im Hinblick auf Ihr Gesamtwerk persönliche Favoriten? Yaarana ist mein bisher bekanntes- tes Buch, weil es das gesellschaft- lich relevanteste Werk ist, das ich erschaffen habe. Aber meine besten Gab es einen Grund dafür, dass Sie nach Indien zurückkehrten, nachdem Sie in den USA, Deutsch- land und im Iran gelebt hatten? Ich konnte weder in Amerika noch in Deutschland schreiben. Ich konnte einfach keinen Anker finden. Poesie braucht Wurzeln, Poesie sind Wur- zeln. Ich muss verwurzelt sein und meine Gefühle spüren, um schreiben zu können. Während meiner Abwe- senheit von Indien habe ich viel Lyrik und Bücher amerikanischer Autoren oder westlicher Schriftsteller gele- sen. Die Großen der amerikanischen Poesie konzentrieren sich auf die Natur, aber sie vermeiden Gefühle wie Schuld, Angst und ihre eigene Kolonialgeschichte. Das konnte ich nicht tun. Ich fand auch nicht, dass Amerika oder Deutschland ein frei- es Land für einen jungen Mann dar- stellt, der schwul ist. Die Wahrheit ist, dass es lange dauert, bis sich die gesellschaftliche Realität ändert, und wir müssen jeden Tag für unsere Weltanschauung kämpfen. Außerdem bin ich zurückgekommen, weil ich mich nach den Gerüchen, den Geräuschen und den Gefühlen Indiens gesehnt habe. Ich musste in dieser Umgebung sein, um über meine Angst, mein Leiden und meine Liebe zu schreiben. ✼ 61