VIELFALT Leben 12/2024

Birte Kruse, Stiftungsbereichsleitung der Sozialpsychiatrie Größtes Neubauquartier in Hamburg-Nord: Pergolenviertel Selbstverständliche Selbstbestimmung Wohngemeinschaften In den WGs des Wohn­ quartiers Pergolenviertel stellen die Bedürfnisse der Bewohnenden keine Hürden für das Zusam­ menleben dar. Es entsteht eine enge Gemeinschaft, geprägt von Autonomie im Alltag und offenem Kommunikationsklima ◗ Text: Carlotta Wißink eine psychische Erkrankung mit mindes- tens einem Pflegegrad drei haben und zusätzlich Eingliederungshilfe benötigen. Davon gebe es in Hamburg nicht wenige, denn die Plätze seien heiß begehrt und die Warteliste endlos, so Kruse. Dieses Jahr ist zum ersten Mal seit Beginn des WG-Pro- jekts eins der acht Zimmer frei geworden. „Die Mitbewohnenden werden die neue Person natürlich vorab kennenlernen, um zu schauen, ob es passt“, erklärt Kruse. Es solle immer ein Miteinander sein, kein Gegeneinander. Und die unterschiedlichen Bedürfnisse der Bewoh- nenden sollen keine Hürden für das Zusam- menleben darstellen. Unterstützt wird das offene Kommuni- kationsklima der Bewohnenden unter an- derem durch die pädagogischen Fachkräfte, die zur Hilfe stehen für die bürokratischen Angelegenheiten und solche, die auf dem Herzen liegen: „Alles von ‚Was essen wir nächste Woche?‘ über ‚Welche Ausflüge I n dem Wohnquartier Pergolenviertel gibt es zwei Wohngemeinschaften mit je vier Zimmern. Die Gemeinschaftsräume und Badezimmer sind barrierefrei. Zwischen den beiden Wohnungen steht die Tür immer offen. Für die Bewohnenden bedeutet diese Art der Wohnform: WG- Sitzungen, Putzpläne, Einkaufen gehen, gemeinsam kochen, essen und Freizeitaktivi- täten unternehmen. Dinge, die sie in ihren vorherigen Wohnsitua- tionen vielleicht nicht beanspruchen konnten, wie ein eigener Miet­ vertrag oder Autonomie im Alltag, sind möglich. „Eine so enge Gemein- schaft habe ich in der Sozialpsychiatrie noch nicht so erlebt. Trotz relativ großer WG unternehmen die Menschen gerne gemeinsam Dinge“, bemerkt die Stiftungsbereichsleitung der Sozialpsychiatrie, Birte Kruse. Die WGs sind Teil der Stiftung des Rauhen Hauses. Ausgelegt auf Menschen ab 60 Jahren, die 14 | WOHNGEMEINSCHAFTEN FOTOS: CARLOTTA WISSINK (O.), STEFAN ALBRECHT (U.) Hier ist es okay, dass es Mitarbeitende gibt, die unterstützen Birte Kruse stützen, auch den ganzen Tag lang“, betont Kruse. Es sei ihnen erlaubt, nach Hilfe zu fragen bei Aufgaben, die aufgrund ihres Pflege- oder Unterstützungsgrads alleine nicht zu schaffen sind oder ganz abgegeben werden müssen. Im Gegensatz zu anderen WGs müssen sich Bewohnende nicht um Putzpläne streiten, weil es auch Menschen gibt, die Aufgaben übernehmen können. Auch der Küchendienst richtet sich nach den jeweiligen Kompetenzen. Die Bewoh- nenden werden somit in ihren Fähigkeiten ernstgenommen, ohne über- oder unter- fordert zu werden. www.rauheshaus.de Gemeinschaft hat hier einen besonderen Stellenwert machen wir?‘ bis hin zu ‚Was wünschen wir uns?‘“, sagt Kruse, „denn sie können selbst über ihren Tag entscheiden, etwa wann sie aufstehen und ob sie gemeinsam essen wollen.“ Möglich gemacht wird diese Autonomie beispielsweise durch die Küchennische, die jedes Zimmer in sich trägt, und den eigenen Mietvertrag. Eine Art der Selbstbestimmung, die nicht üblich ist für sozialpsychiatrische Einrichtungen. Meist gehe es bei psychisch erkrankten Menschen darum, Kompetenzen zu erwerben oder wieder zu erwerben, sagt Kruse. Beim Wohnquartier im Pergolen- viertel sei dem nicht so. „Hier ist es okay, dass es Mitarbeitende gibt, die sie unter- WOHNGEMEINSCHAFTEN | 15 FOTO: CARLOTTA WISSINK

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