VIELFALT Leben 12/2023

FOTOS: HANNA KARSTENS Fleetenpower Seit vielen Jahren baut die Staatliche Jugendmusikschule Hamburg ihr inklusives Angebot aus. Angefangen hat alles mit der Fleetenpower-Band: einer Gruppe von SchülerInnen mit Behinderung, die regelmäßig die Bühnen der Stadt bespielt ◗ Text: Philipp Müller Mit Herz und Harfe „Mit der Fleetenpower-Band hat alles begonnen“, so Stegmann. „Von da an haben wir unser Inklusionsportfolio kontinuier- lich versucht zu erweitern – sowohl was Fortbildungen für LehrerInnen an der Landesmusikakademie Hamburg betrifft als auch die Unterrichts- und Gestaltungs- angebote für SchülerInnen.“ Seit 2017 integriert die JMS geflüchtete Kinder und Jugendliche in ihren Unterricht und setzt Lehrkräfte in Erstaufnahmeeinrichtungen und internationalen Vorbereitungsklassen ein. Mit dem Programm „Lieblingsfach Musik“ unterstützt die JMS bereits seit 15 Jahren SchülerInnen mit sonderpäda- gogischem Förderbedarf dabei, ihr musi- kalisches Talent zu entfalten – mit dem Ziel, ihnen einen schnelleren Zugang zum finalen Performance: Aus Fleetenpower wird Fleetenpower and Friends. „In den letzten 17 Jahren hat sich so einiges an Bühnenerfahrung angesammelt“, erzählt Winfried Stegmann, der Pädagogische Leiter der JMS, der 1993 als Gitarren- lehrer an die Schule kam und die Anfänge der Band miterlebt hat. „Ich kann mich noch gut an das erste Konzert erinnern, an einem Tag der offenen Tür hier im Haus. Der Saal war begeistert, die Men- schen waren berührt.“ Ein Highlight war auch das Konzert „Musik kennt keine Barrieren“, das die JMS 2019 in Koopera- tion mit Hamburg Wasser organisierte. Dort trat Fleetenpower mit zwei großen Namen der Musikszene auf: Stefan Gwildis und Rolf Zuckowski. Das Klavier ist unbesetzt, die Stühle stehen leer. Noch ist kein Ton zu hören im Proberaum der Staatlichen Jugendmusik- schule Hamburg (JMS). Doch das wird sich in wenigen Augenblicken ändern. Jeden Dienstag trifft sich hier die Fleeten- power-Band – eine kleine Gruppe von SchülerInnen mit Behinderung ab zwölf Jahren. Unter der Leitung von Anne Meyer-Riewoldt und Julia Hoffmann bringen sie Instrumente zum Klingen, benutzen ihre Stimmen und finden eine gemeinsame Sprache in der Musik, die berührt. Alle sind willkommen und können mitmachen, Vorkenntnisse sind nicht nötig. Die einzige Voraussetzung ist die Freude an der Musik – sie ist Ausgangspunkt und Ziel zugleich. Gegründet hatte Meyer-Riewoldt Fleeten- power 2006. Aktuell zählt die Band elf aktive Mitglieder, die sich Woche für Woche zusammenfinden. Doch sobald ein Auftritt ansteht, vergrößert sich die Gruppe durch GastmusikerInnen – da­ runter LehrerInnen und SchülerInnen aus anderen Fachbereichen, teils Ehemalige, teils sogar Eltern. Sie verstärken die Fleetenpower von der ersten Probe bis zur 12 | FLEETENPOWER am Klavier. Musik stiftet hier den persön­ lichen Kontakt ebenso wie sie aus ihm heraus entsteht – man kann es spüren, bei jedem Ton. „Wie ergreifend Musik sein kann, hängt eben nicht nur von der Hochbegabung eines Musikers ab“, bestätigt Stegmann. „Intensität statt Virtuosität: Spielfreude und Fantasiereichtum stehen für mich auf der gleichen Ebene wie die technische Beherrschung eines Instruments. Das macht das Thema Inklusion für Musik­ schulen umso wichtiger.“ Hier leiste der Verband deutscher Musikschulen (VdM) schon seit Jahren gute Arbeit, so Stegmann: „Der VdM bietet konkrete Handlungs­ empfehlungen und bewirbt auch mit poli- tischer Wirkungskraft das Ziel, mit offener Bildungsarbeit alle Kinder und Jugendliche erreichen zu wollen.“ Dieses Ziel verfolgt auch die JMS, die mit 160 Standorten in der Stadt, über 24.000 SchülerInnen und 320 festen Lehrkräften zu den größten Musikschulen Europas zählt, indem sie auf die verbindende Kraft von Kunst setzt und das eigene Angebot perspektivisch ausrichtet. Schon im Herbst 2017 entstand mit Fleetenpower mini ein Angebot, bei dem Kinder mit und ohne Behinderung ab sechs Jahren das gemeinsame Musizieren lernen. [18] „Wir wollen aber auch Interkulturalität noch mehr in den Fokus rücken“, sagt Stegmann, „und die Standorte in der Stadt enger vernetzen, um ein großes, inklusives Ensemble zusammenzu­ stellen.“ Dabei wird vermutlich auch die Fleetenpower-Band eine wichtige Rolle spielen. Aus ihr entstand das erste inklusive Ensemble – und sicher nicht das letzte. www.hamburg.de/jugendmusikschule Wie ergreifend Musik sein kann, hängt eben nicht nur von der Hochbegabung eines Musikers ab Winfried Stegmann „ Spielfreude pur: Fleetenpower bei einer Probe Immer dienstags kommt die Fleetenpower-Band in der Staatlichen Jugendmusikschule Hamburg (JMS) zusammen Unterricht an der JMS zu ermöglichen. Die langjährige Inklusionsarbeit zahlt sich aus. „Derzeit gibt es verschiedene inklusive Ensembles in den Bereichen Gitarre und Blockflöte“, so Stegmann. „Einige Jugend­ liche konnten wir so auch auf das Musik­ studium vorbereiten.“ Mittlerweile sind die ersten Bandmitglieder von Fleetenpower im Proberaum angekom­ men. Die Atmosphäre ist herzlich, es wird umarmt, gelacht, geplaudert – und schnell ist klar, dass hier das gegenseitige Zuhören essenziell ist für das gemeinsame Musik­ machen. Manche der SchülerInnen sind schon seit Beginn dabei, manche kehren nach jahrelanger Pause wieder zurück. So bildet sich jeden Dienstag im Proberaum der JMS für ein bis zwei Stunden eine Kreativgemeinschaft, in der das Indivi­ duum immer gesehen und gehört wird. Heute beginnt die Probe mit dem irischen Volkslied „Down by the Sally Gardens“ – gespielt von zwei SchülerInnen auf der Tischharfe, begleitet von Meyer-Riewoldt FLEETENPOWER | 13

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