VIELFALT Leben 12/2023
Seit über 30 Jahren steht Station 17 in ständig wechselnder Besetzung auf der Bühne. Hier die aktuellen Bandmitglieder inklusive Bassist Matthias Knoop (zweiter von rechts) FOTO: TIM BRÜNING Station 17 1989 wurde das Musikprojekt von Wohngruppe 17 der Evangelischen Stiftung Alsterdorf ins Leben gerufen. Was als kreatives und soziales Projekt begann, wurde zur Erfolgsgeschichte. Mit Station 17 etablierte sich die erste Band aus Musikern mit und ohne Behinderung in der alternativen Musikszene. Mittlerweile hat sie mehr als ein Dutzend Tonträger veröffentlich und über 800 Kon zerte gespielt. Ein Gespräch mit Matthias Knoop, Bassist von Station 17, über das bisher Erreichte und die Ziele für die Zukunft ◗ Interview: Katharina Stertzenbach „In erster Linie geht es um die Musik“ ? Matthias, hast du heute schon Bass gespielt? Matthias Knoop: Nee, heute habe ich noch keinen Bass gespielt. Als Bassist bei Station 17 arbeite ich nebenberuflich. Ich bin Honorarkraft-Musiker zusammen mit unserem Schlagzeuger Philip und unserem Gitarristen Nils. Die anderen vier Bandmit- glieder sind Menschen mit Behinderung. Dazu zählen Sebastian, das ist unser Sänger und Keyboarder, Philip, das ist unser zweiter Keyboarder, und Siyavash, unser Percussionist und Sänger sowie Ernesto, unsere Gitarrist und ebenfalls Sänger. Für die vier ist Station 17 ihr Hauptjob. Wie oft probt ihr? Unsere Bandmitglieder mit Behinderung proben jeden Tag. Freitags haben wir eine Probe in kompletter Besetzung. Da stehen wir dann zusammen einen ganzen Tag im Proberaum. Wir haben den Anspruch und das große Ziel, dass wir alle auf Augen- höhe miteinander Musik machen und die Behinderung, wie auch immer sie sich darstellt, eigentlich überhaupt keine Rolle spielt. Das ist das Ideal, dem wir nacheifern. Das ist in der Praxis nicht immer zu 100 Pro- zent umsetzbar. Deswegen nehmen wir uns freitags immer viel Zeit für die Proben. 10 | STATION 17 Hast du ein persönliches Station 17-Highlight? Für mich, wie für jeden Musiker, jede Musikerin, ist es immer ein Highlight, live zu performen, und dadurch die direkte Reaktion des Publikums zu erfahren und zu erleben. Dazu gehörten auf jeden Fall in den letzten zwei Jahren einmal das Konzert am Brandenburger Tor im Rahmen der Paralympics, dann unsere Release-Party im Hafenklang und das Kampnagel Sommer- fest. Aber wir haben dieses Jahr auch zwei Alben rausgebracht. Einmal unser regulä- res Studioalbum „Oui Bitte“ und dann gab es noch mal im Oktober unser Studio-Re- mix „Oui Mixe“, wo verschiedene elektro- nische Künstler und Künstlerinnen unsere Songs neu interpretiert haben. Dazu gab es eine Release-Party im Pudel Club. Den Abend durfte ich zusammen mit Sebi, unserem blinden Keyboarder, eröffnen. Ich habe Musik aufgelegt und er hat dazu frei am Keyboard improvisiert. Das war toll. Das haben wir vorher tatsächlich auch nicht geprobt. Und es hat auf Anhieb geklappt. Alle haben getanzt und das war einfach noch einmal eine ganz andere Konzertsituation, weil es eher in einem Clubkontext stattfand. Erhaltet ihr irgendeine Form von Förderung? Jein – Station 17 ist in die barner16 eingebunden, das ist ein inklusives Netzwerk professioneller Kunst- und Kulturproduktionen von KünstlerInnen mit und ohne Behinderung. Wir sind natürlich auch Teil der Alsterarbeit, die wiederum in eine Stiftung eingebunden ist. Wir sind aber auch dazu angehalten, wirtschaftlich zu arbeiten und zu funktio- nieren. Wir sind also kein richtiges Förderprojekt. Aber ja, es gibt auch Querfinanzierungen. Und wie sehen eure Pläne für die nahe und ferne Zukunft aus? Nach dem Album ist vor dem Album: Wir arbeiten also wieder kontinuierlich an neuen Songs und auch daran, wieder möglichst viele Konzerte zu spielen. Unser Ziel ist, dass wir uns weiter im ersten Musikmarkt halten können, unabhängig davon, dass wir Menschen mit Behinderung in unserer Band haben. Für die Zukunft wünschen wir uns also keine Inklusion mehr, sondern eine Selbstverständlichkeit in der Wahrnehmung der Band. www.barner16.de/bands/station17 neuem Leben durch neue Menschen gefüllt wird. Was macht Station 17 so einzigartig? Wir sind in der Branche eine Ausnahme, weil wir uns auf dem sogenannten ersten Musikmarkt bewegen, wie jede andere Band auch. Wir machen es nicht zum Thema, dass einige unserer Bandmitglieder Behinderungen haben. Wir verschweigen das auch nicht, weil es ja meistens auch offensichtlich ist, aber wir setzen das nicht an die erste Stelle. Das soll halt keine Rolle spielen. In erster Linie geht es um die Musik. Was ist deiner Ansicht nach das Erfolgsgeheimnis von Station 17? Station 17 ist eine unfassbar gute Live- Band. Zudem sind wir eine sehr aktive Band. Das heißt, wir produzieren regelmä- ßig neue Alben, Singles und Musikvideos. Das führt langfristig dazu, dass wir als Band stärker wahrgenommen werden. Es geht uns gar nicht so sehr darum, in den Charts zu landen oder möglichst viele Menschen anzusprechen. Dafür ist unsere Musik auch zu alternativ. Aber uns ist es wichtig, unsere Sichtbarkeit zu erhöhen und wahrgenommen zu werden. Das möchte jeder Künstler und jede Künstlerin und dazu zählen wir uns natürlich auch. Und was siehst du als die größten Erfolge der Band an? Das größte Highlight war vor meiner Zeit das Jubiläumskonzert zusammen mit unter anderem Fettes Brot im Uebel & Gefähr- lich. Das war damals ausverkauft und einfach ein richtig tolles Konzert für alle Beteiligten. Grundsätzlich besteht für uns der größte Erfolg darin, dass wir neue Fans unserer Musik gewinnen. Die Erwartungs- haltung uns gegenüber ist zunächst immer sehr gering. Die Leute kommen oft erst mal zu unserem Konzert und denken sich: ‚Naja gut, ich schaue mir das jetzt mal an. Viel kann da ja nicht sein, das sind ja auch schließlich Menschen mit Behinderung dabei. Aber was soll denn da schon künstlerisch Großartiges auf mich zukom- men?‘ Dann aber in diese offenen Augen und Münder von den Konzertbesuchern zu schauen, die man bei den Live-Auftritten abgeholt, überzeugt und begeistert hat: Das ist echt ein richtiger Erfolg. Man sagt ja, Applaus ist der Lohn des Künstlers oder der Künstlerin. Das sind eigentlich immer die schönsten Momente, wenn man Leute erreicht, die uns vorher noch nicht kannten. Du nimmst dir den Freitag für die Band dann frei? Freitags habe ich eh frei. Wir drei Honorar- kraft-Musiker sind bei Station 17 dafür da, musikalische Orientierung zu geben. Darüber hinaus sind wir auch für das Organisatorische zuständig. Wir beantwor- ten etwa E-Mails von Booking-Agenturen und andere Anfragen und betreuen die Social-Media-Kanäle. Daneben kümmern wir uns zum Beispiel auch um die Kommu- nikation mit dem Wohnheim, in dem unsere Musiker mit Behinderung unter gebracht sind. Einen sozialpädagogischen Auftrag haben wir aber nicht. Was hat sich seit der Bandgründung 1989 alles geändert? Im Laufe der Zeit hat sich die Besetzung immer wieder verändert. Ich bin jetzt ungefähr seit zwei Jahren dabei. Es kommt auch unter den Mitmusikern mit Behinde- rung vor, dass Leute stark pflegebedürftig werden, altersbedingt ausscheiden oder sterben. Dadurch kommt es also immer mal wieder zu einemWechsel in der Besetzung der Band. Station 17 ist aber gar nicht so sehr personenabhängig. Es geht vielmehr um die Idee, die sich weiter fortträgt und mit Station 17 ist aber gar nicht so sehr personen abhängig. Es geht vielmehr um die Idee, die sich weiter fortträgt und mit neuem Leben durch neue Menschen gefüllt wird Matthias Knoop „ STATION 17 | 11
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