VIELFALT Leben 06/2024

Ich hoffe, dass durch unsere Arbeit ein Umdenken in behördlichen Dingen geschieht – ein Mitdenken. Gremien können nur stattfinden, wenn wirklich alle teilhaben können, wenn Barrieren abgebaut werden. Deshalb ist es so wichtig, dass es uns gibt. Es muss Gremien geben, um immer wieder zu zeigen: Hier können doch gar nicht alle teilnehmen. Es fehlt zum Beispiel an barrierefreien Toiletten oder an Audiodeskription für Hörbehin- derte. Wenn man dafür nur ein bestimm- tes Budget hat, ist das auch frustrierend. Dann muss auch ein Gremium, das aus Menschen mit Behinderung besteht, Menschen ausschließen, weil kein Geld da ist. Das darf es nicht geben. Damit diese Dinge beachtet werden, muss diese Problematik in den Köpfen der Menschen präsent sein? Ja, wichtig ist Sensibilisierung und dass es keine Berührungsängste gibt. Ich erlebe das leider auch immer noch, diese Herab- lassung, die mir entgegengebracht wird: „Schön, dass du draußen bist.“ Ich denke dann: „Schön, dass du draußen bis.“ Warum gibt es dahingehend immer so eine Reduktion, eine Abwertung? Ich kenne es doch nicht anders und mich macht noch viel mehr aus als der Rollstuhl. Ich habe noch einen Kopf, ich kann denken und ich habe einen Charakter. Klar besteht bei anderen oft eine Angst, aber ich bin auch müde, das immer zu entschuldigen. Wir haben 2024 und es wird Zeit, dass die Leute auch mal über den Tellerrand hinausschauen und merken, dass wir alle Das kann viele Menschen, die das tag- täglich erleben, in die Isolation führen, weil sie nicht gesehen werden. Daher ist es mir ein Anliegen, immer wieder darauf hinzuweisen, gerade hier im Bezirk. Die UN-Behindertenrechtskonvention schreibt vor, dass es ein Miteinander geben muss. Das nimmt auch die Scheu vor dem Anderssein. Wir sind alle irgendwie anders, kein Mensch ist gleich. Und das ist das, was mich vorantreibt. Was können Hindernisse für Menschen mit Behinderung sein, sich politisch zu engagieren? Ich verstehe auch die, die sich nicht engagieren, denn es ist Arbeit. Man muss sich behaupten, man muss immer wieder nach vorne. Ich habe im Laufe meiner Zeit gesehen, dass es immer weniger Engagierte gibt, weil es einfach mühselig ist. Manche denken, wir haben schon viel erreicht, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Solange muss es einfach Menschen geben, die sich engagieren, zum Beispiel in Gremien, um immer wieder darauf hinweisen zu können. Denn wenn man nichts sagt, dann wird auch nicht mitgedacht. Wenn wir nichts tun, dann wird nichts passieren. Auch wenn die Barrierefreiheit nicht gegeben ist, ist eine Teilnahme von vornherein ausgeschlossen. Und dann kommen weitere Barrieren dazu, wie dass manche eine Assistenz benötigen. Das finde ich tragisch, weil so viel Engagement dadurch verhindert wird. Wie kann man politisches Engagement erreichbarer machen? in diese Gesellschaft gehören und niemand ausgegrenzt werden darf. Was wäre Ihrer Meinung nach ein erster praktischer Schritt in Richtung Teilnahme und Sensibilisierung? Erst mal muss der öffentliche Personen- nahverkehr hundert Prozent ausgebaut sein. Es muss selbstverständlich sein, dass der Busfahrer die Rampe ausklappt. Auch die Menschen im Bus müssen für den Rollstuhl Platz machen. Manche gucken, bleiben stehen und gehen nicht zur Seite, da fehlt eine gewisse Umsicht. Es geht auch um Menschenfreundlichkeit und ein Miteinander. Mehr ist es letztendlich gar nicht. Wenn diese Rücksichtnahme automatisch wird, dann ist schon viel passiert. Das ist aber noch nicht so. Gibt es etwas, das Sie im Inklusions- beirat bereits erreicht haben, worauf Sie besonders stolz sind? Wir haben uns der Leichten Sprache angenommen und alle Kultureinrichtun- gen im Bezirk Nord angeschrieben, um gemeinsam an einer Umsetzung zu arbeiten, zum Beispiel auf den Homepages. Wir haben uns bei einem dreitägigen Seminar mit dem Büro für Leichte Sprache und Menschen aus den Kultureinrichtun- gen zusammengesetzt. So arbeiten wir gleichzeitig daran, Barrieren abzubauen: die Sprachbarriere, aber auch die Scheu uns gegenüber. Zum anderen war der Neubau des Gymnasiums Langenhorn nicht barrierefrei geplant. Da haben wir erreicht, dass Fahrstuhl, Türen und WC behindertengerecht gebaut werden. Ein Mitglied des Inklusionsbeirats konnte das Ganze aus seiner Sicht erklären, weil er selbst erlebt hat, wie es ist, in den Pausen immer nur damit beschäftigt zu sein, zur Toilette zu kommen. Das bedeutet für Kinder und Jugendliche, dass sie nicht miteinander kommunizieren können. Deswegen ist es wichtig, dass überall behindertengerechte Toiletten sind. Was möchten Sie Menschen ohne und mit Behinderung mitgeben, die sich beispielsweise in Gremien für Inklusion einsetzen möchten? Die Menschen müssen Mut fassen, auf- einander zugehen und gemeinsam sagen: „Wir wollen, dass wir eine Gesellschaft sind, an der alle teilhaben können und niemand außen vor ist.“ Man sollte sich nicht zu viel vornehmen, sondern einfach Wir sind alle irgendwie anders, kein Mensch ist gleich Heike Wandke „ 14 | HEIKE WANDKE Wichtig ist Sensibilisierung und dass es keine Berührungsängste gibt Heike Wandke „ mit kleinen Schritten vorangehen. Wenn man denkt, man kann sowieso nichts bewirken, dann ist man zum Scheitern verurteilt. Darum geht es auch gar nicht, sondern einfach darum, dabei zu sein. Heike Wandke, die Vorsitzende des Inklusionsbeirats Hamburg-Nord, und ihre Hündin Paula Auch wenn man nichts sagt oder einfach nur zuhört. Das bewegt auch schon eine ganze Menge. In dem Moment, wo ich einfach nur dabei bin, unterstütze ich die, die etwas bewegen. Und was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihres Stadtteils? Ich wünsche mir, dass es eine höhere Offenheit dafür gibt, alle teilhaben zu lassen und dass mitgedacht wird, ob Dinge hier wirklich für jeden sind. Menschen müssen verstehen, dass es nicht schlecht ist, wenn alle teilnehmen können. Letztendlich haben alle etwas davon. Wenn das erreicht ist, und das wird leider noch dauern, dann ist das schon eine ganze Menge. Man wird nicht von heute auf morgen was ändern, das weiß ich. Dafür bin ich zu lange dabei. Geduld ist gefragt, aber wenn man das peu à peu macht, dann kommt man langsam voran. www.inklusion-hamburg-nord.de FOTO: PAULINE BELLMANN HEIKE WANDKE | 15

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