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Vier Thesen zu einem lernförderlichen Umgang mit Zeit in Unterricht und Referendariat

Hamburg macht Schule 4|2010 31 Schulform Lernen und Zeit Über Zeit und deren Ordnung wird diszipliniert. So wurde vor etwa 150 Jahren auf der Basis des damaligen Zeitordnungs- verständnisses entschieden, dass die Bildungsarbeit in der Schule in alters- homogenen Gruppen (Klassen) gesche- hen soll. Auch die Zeitpunkte der Ein- schulung und der Schulentlassung wer- den nach bürokratisch ausgerichteten Altersmarkierungen festgelegt, die aus antiquierten Zeit-und Ordnungsvorstel- lungen resultieren. Die Anwesenheit der Schüler wird an den Pünktlichkeits- kriterien der Uhrzeit orientiert. Diese ist bekanntermaßen ohne jene zeitliche Elastizität, die dem Lebendigen eigen ist. So müssen die Schüler morgens in der Schule sein, unabhängig von der Tatsache, ob sie überhaupt lernfähig oder lernbereit sind. Die Uhr bestimmt im Schulbetrieb, wann eine Pause ein- tritt, und die Uhr bestimmt auch, wann diese wieder zu Ende ist. Glocken und Klingeln, die eigens zu diesem Zweck installiert wurden, machen das ver- taktete Zeitmuster der bürokratischen Ordnung für alle Beteiligten unüber- hörbar. Die Differenz der beiden Logiken Takt und Rhythmus wird dort offensichtlich, wo es um die Steigerung der Schnellig- keit geht. Die Rationalitätsimperative der Bildungsorganisation fordern im Vollzug ihrer Zeit-ist-Geld-Logik immer wieder zusätzliche Beschleunigungsan- strengungen. Ganz anders hingegen der an mensch- liche Entwicklungsprozesse gebundene Bildungsfortschritt. Kein Kind wird, weil es die organisatorischen Abläufe und die Ordnungsvorstellungen der Bildungspo- litiker so verlangen, schneller zum Ju- gendlichen und kein Jugendlicher des- halb rascher zum Erwachsenen. Die Systemzeiten der Aneignung des Bildungsgegenstandes »Ach, wenn ich doch etwas mehr Zeit gehabt hätte und wenn der Lehrer sich etwas mehr Zeit genommen hätte, dann hätte ich das auch besser verstanden.« Lerninhalte haben, ebenso wie Ar- beitsaufträge im Beruf, ihre jeweils ei- genen Zeitmaße. Im aktuell angesagten Sprachspiel unternehmerischer Bildungsarbeit differenziert man zwischen fast know- ledge und slow knowledge und setzt al- les daran, möglichst viel der Kategorie des schnellen Wissens zuzuordnen. Das aber ist insofern problematisch, als sich der Aneignungsprozess von Bildungsgü- tern nicht in jener Zeitlogik vollzieht, der die Steigerung des Outputs von Pro- duktionsgütern in Wirtschaftsbetrieben charakterisiert. Umwegiges Lernen Zu einer der wichtigsten Aufgaben von Lehrenden gehört es, die Komplexität und die Darstellung der Lerninhalte zeit- lich so zu organisieren, dass diese nicht verfälscht werden und dass sie darüber- hinaus den geltenden Sinnhaftigkeits- und Wahrheitsansprüchen genügen. Die Zeitlogik des Lehr-/Lerngegenstan- des muss daher mit den Zeitlogiken der Lernenden und Lehrenden (Chronobi- ologie) und mit jener der Organisation (bürokratisch-vertaktete Logik) sensibel abgestimmt und koordiniert werden. Dieser Abstimmungsprozess ist es, der den Umweg zum Königsweg der Päda- gogik macht. Der Bildungserfolg wächst nicht von Stunde zu Stunde. Nur in Ausnahme- fällen wird in zwei Stunden doppelt so viel gelernt wie in einer. Lernen verläuft nicht-linear, oft krisenhaft, häufig auf produktiven Umwegen. Daher müssen Lehrer und Lehrerinnen zu Spezialisten des Umwegs werden. Bildung geschieht sprunghaft, vollzieht sich vielfach irri- tierend und verwirrend, und manchmal auch schnell und überraschend. Der plat- zende Knoten ist dafür ein geeigneteres Bild als die stetig ansteigende Linie. Karlheinz A. Geißler ist emeritierter Professor für Wirtschaftspädagogik an der Universität der Bundeswehr, München, Fakultät Pädagogik, Mitglied des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik und Autor mehrerer Bücher zum Thema »Zeit«. Soeben erschienen: »Lob der Pause: Warum unproduktive Zeiten ein Gewinn sind«. München. Schlechinger Weg 13, 81669 München E-Mail: k.geissler@timesandmore.com www.timesandmore.com Hintergrund Abb. 1: Auf der Suche nach dem richtigen Zeitmaß