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Vier Thesen zu einem lernförderlichen Umgang mit Zeit in Unterricht und Referendariat

Hamburg macht Schule 4|2010 30 Thema Für die Mehrheit jener Bildungsakti- vitäten, die als soziales Arrangement stattfinden, das sind weitgehend alle in Schule, Hochschule und auch die meis- ten in der Weiterbildung, spielen drei unterschiedliche Zeitsysteme eine zen- trale Rolle. Die drei Zeitsysteme sind: • Das biologisch-psychische Zeitsystem der beteiligten Subjekte. • Das Zeitsystem der Bildungsinstitu- tionen. • Die Systemzeiten des Bildungsgegen- standes. Jedes dieser drei Systemelemente zeich- net sich durch einen eigenen, systemspe- zifischen Zeithorizont aus. Sie bedürfen einer sensiblen Synchronisation, wenn Bildung möglich und erfolgreich sein soll. Ihre jeweiligen Qualitäten sind Gegen- stand meiner weiteren Ausführungen. Das biologisch-psychische Zeitsystem der am Lehr-/Lernprozess beteiligten Subjekte »Egal welches Fach dran war, in der ersten Schulstunde hab ich selten was gelernt. Das war mir immer zu früh, ich war noch nicht richtig da. Aber interes- siert hat das ja niemanden.« Pädagogisches Handeln heißt zualler- erst: Umgang mit Subjekten. Subjekte sind Lebewesen. Das Zeitmuster des Lebendigen, also aller Lebewesen, ist der Rhythmus. Das Lebendige ist dadurch erst le- bendig, dass es sich verändert, dass es abweicht, sich unterscheidet und Spiel- raum hat. Konkret heißt das: Perioden der Ruhe wechseln mit Phasen der Aktivität, Mü- digkeit mit Perioden der Wachheit, Auf- merksamkeit mit denen der Unaufmerk- samkeit. Die Zyklen der natürlichen und die der kosmischen Umwelt (u.a. Tag/ Nacht, Jahreszeiten) sind über langfris- tige evolutionäre Anpassungsleistungen mit den Rhythmen des menschlichen Verhaltens und Erlebens mehr oder weniger eng koordiniert. Daher auch sind der Variabilität der menschlichen Eigenzeit Grenzen gesetzt, wohlgemerkt elastische Grenzen. Ausschließlich im Rahmen chronobiologisch eingegrenz- ter Spielräume ist variables Handeln möglich. Ignoriert oder missachtet man diese grundlegenden zeitbiologischen Realitäten, dann wird natürliches, wird menschliches Leben bedroht, geschä- digt oder gefährdet, und der Lernerfolg selbstverständlich auch. Auf der Basis der vorliegenden chro- nobiologischen Erkenntnisse stellen sich bildungspolitisch und pädagogisch relevante Fragen. So beispielsweise: Zu welchem Tageszeitpunkt ist es aus chro- nobiologischer Sicht eigentlich günstig, Bildungsaktivitäten überhaupt in Gang zu setzen? Zu welcher Tageszeit ist das Verhältnis von Lehraufwand und Ler- nertrag aus chronobiologischer Sicht optimal? Wieweit erfordern die chrono- biologischen Tatsachen organisations- politische Veränderungen im Rahmen der Institutionalisierung von Bildungs- maßnahmen? Bereits Comenius hat von den Päda- gogen praktische Antworten auf diese Fragen gefordert: Alles muss zur rech- ten Zeit unternommen werden, nämlich dann,wenndieNaturselbstbeginnt,ihre reifen Früchte abzuwerfen, man kann ja auch nichts anderes tun, als der Natur bei dem Gebären zu helfen. Mit diesem Hinweis schließt er an den bekannten Predigertext des alten Testaments an: »Alles hat seine Stunde, und seine Zeit hat jedes Ding unter dem Himmel. Ge- boren werden hat seine Zeit und Sterben hat seine Zeit« … Wir brauchen diesen ehrwürdigen, äußerst lebensnahen Text nur ergänzen: »Arbeiten hat seine Zeit, und Ruhen hat seine Zeit. Lernen hat seine Zeit, und Nichtlernen hat auch seine Zeit«, um Anschluss an die For- schungsergebnisse der zeitbiologischen Systemlogik zu finden. Das Zeitsystem der Bildungsinstitutionen »Was ich in der Schule gelernt habe? Zuallerst Pünktlichkeit und darüber hinaus, dass alles Wichtige 45 Minuten dauert. Während meiner Berufstätigkeit jedoch musste ich diese sture Zeiteintei- lung ganz schnell wieder verlernen. Dort war Flexibilität wichtiger als Pünktlich- keit.« Lernen geschieht in den allermeis- ten Fällen, insbesondere seit Einfüh- rung der Schulpflicht, in eigens dafür arrangierten Mikro-Welten. Bildungs- und Erziehungsorganisationen folgen in erster Linie den Ordnungs- und den Zeitordnungsvorstellungen der büro- kratischen Rationalität. Max Weber hat deren Prinzipien detailliert beschrie- ben. Die bürokratische Zeitlogik, die die Bildungsorganisationen weitgehend dominiert, folgt dem Zeitmuster des Taktes, sie folgt nicht dem Zeitmuster des Rhythmus. Linearität, Berechenbar- keit, Pünktlichkeit und die Schrittfolge des Eins-nach-dem-anderen sind Kenn- zeichen dieser Zeitlogik, die identisch ist mit der Uhrzeitlogik. Dem Lehren und Lernen (die richtige) Zeit geben Welche grundlegenden Zusammen- hänge müssen bei der Gestaltung schulischer Lehr-Lern-Situationen beachtet werden, um zwischen Hochgeschwindigkeitsdruck und Entschleunigungsbedarf das jeweils richtige Zeitmaß zu finden? Die fol- genden Überlegungen des Zeitfor- schers Prof. Dr. Karlheinz Geissler versuchen eine Antwort. Hintergrund