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Vier Thesen zu einem lernförderlichen Umgang mit Zeit in Unterricht und Referendariat

Hamburg macht Schule 4|2010 29 Lernen und Zeit Referendariat Lernförderliche didaktische Prin- zipien hierfür können sein: a) Exemplarität – Wenn Lernen zum Ziel hat, etwas in einem bestimmten Grad zu können, liegt die Gefahr nahe, dieses Etwas quantitativ vollständig und qualitativ umfassend erreichen zu wollen. Lernen kann aber durch Konzentration und exemplarische Reduktion an Intensität gewinnen. b) Problemorientierung – Inhalte ge- winnen an Bedeutsamkeit und Span- nung, wenn sie für die Lernenden zum Problem werden. Die Frage ›Wie kommt der Berg in die Karte?‹ hat einen anderen Aufforderungscharak- ter als die Aufgabe ›Definiere den Be- griff der ›Höhenlinie‹!‹ So veranlasst Problemorientierung zum forschenden Lernen und regu- liert Zeitmaße. c) Komplexe Aufgabenkultur – Aufgaben können verstanden werden als Be- schäftigung im festgelegten Zeitrah- men, aber auch als ›Lücke zwischen MenschundWelt‹(Girmes2004),dann sindesbedeutsameAufgabenwieetwa die Aufgabe ›Was koste ich am Tag?‹. In der Ausbildung kann die Aufgabe ›Wie erkläre ich einem Zwölfjährigen, wieerLernensinnvollgestaltenkann?‹ eher zur Herausforderung werden als rein thematische Schwerpunkte. d) Normative Modelle – Referendare können früh komplexe Modelle von lernförderlichem Unterricht kennen- lernen und mit deren Hilfe ihre eige- ne Praxis erschließen und gestalten. Das Verstehen von Strukturen und Prinzipien kann dazu dienen, Wissen zu vernetzen und für Anwendungen verfügbar zu machen. e) NormenundZielezuklärenistauchein Aspekt von Kompetenzorientierung. Transparenz von Zielen fördert selb- ständiges Lernen – ganz grundsätz- lich und auch im methodischen Sinne. Lernenden wird klar, was von ihnen erwartet wird und was sie von sich erwarten. Diagnoseverfahren, Lern- reflexionsgespräche und Lernverein- barungen können zu zielgerichtetem Lernen führen. Lernzeit wird sinnvoll, weil sie mitverantwortet ist und weil Lernende eigene Ziele verfolgen. f) Reflexivität und Urteilskraft – Beson- ders, aber nicht nur im Referendariat gehören zum Lernen am Modell Refle- xion und Beurteilung. Im Modell des reflexiven Erfahrungslernens werden Erfahrungen in Beratungssituationen gedeutet, um sie zu verstehen, gege- benenfalls zu verändern und um sie zunehmend ohne Begleitung selbst- ständig auswerten zu können. Diese sechs Kriterien der Zeit- und In- haltsstrukturierung können auch als Elemente von Projektlernen verstanden werden. Wenn Lernende beschließen – und dazu aufgefordert werden – ein Pro- jekt durchzuführen, kann dies in beson- derer Weise einen souveränen Umgang mit Zeit fördern. Alles hat seine Zeit oder Zeit ist, was wir daraus machen So wie Zeit sich sinnvollerweise am Inhalt bemisst, so auch am lernenden Subjekt. Menschen lernen unterschiedlich. Sie brauchen ›ihre‹ Zeit und ›ihre‹ Rhyth- men. Das große Wort der Individualisie- rung wird richtigerweise benutzt, um zu verdeutlichen, dass es um den Lernerfolg eines jeden Einzelnen geht. Daher sind Zeitrhythmen sinnvoll, die für möglichst viele Lernende förderlich sind. Das Eingehen auf den Einzelnen be- deutet auch, für ihn Zeit zu haben – ist das nicht der Sinn von Pädagogik? Wie oft verändern sich Schüler nur deshalb, weil jemand ihnen sagt: Ja, ich habe Zeit für dich, ich bin für dich da. Schließlich bemisst sich die Zeit an der jeweiligen Institution. Auch sie hat ›ihre‹ Zeit und ihre Abläufe, die aus Gründen der effizienten Nutzung von Gebäuden, Personal und Sachen oft dem Prinzip des Gleichtakts folgen und damit eher nicht lernförderlich wirken. Gegen die Taktung von Zeit lässt sich das Prinzip des Zeitrhythmus set- zen, z.B. durch Eingehen auf den Bi- orhythmus der Beteiligten. Unterricht, Lernberatung und Interaktion der Leh- renden sollten zeitlich nicht voneinan- der getrennt werden, sondern häufiger synchron stattfinden: Schüler lernen selbständig, Lehrer planen derweil etc. Zur Veränderung der Zeitstruktur sind daher offene Zeiten geeignet, die als individuelle Studienzeiten einen Teil der Unterrichts- bzw. Seminarzeit aus- machen und die nicht durch festgelegte Aufgaben definiert sind. In dieser Zeit sind alle da und haben Zeit zum Lernen und füreinander. Oder Lernen kann von vornherein in Tagen statt in Stunden organisiert werden. So könnte Lernen in größeren Sinneinheiten stattfinden. Projekte – über längere Zeiträume in eigener (Zeit-)Regie gestaltet – können in Abschlussqualifikationen eingebracht werden und reguläres Lernprinzip sein. Solchermaßen Zeit zu gewinnen ist üb- rigens nicht etwa Reformeifer, sondern Bildung und Schule in einem nachdrück- lich ›altmodischen‹ Sinn. Das Wort scho- la bedeutet wörtlich Muße. Es herrscht in der Schule so verstanden Zeit, Dinge gelassen zu betrachten. Und theoria be- deutet in der Antike nicht Abstraktheit, es heißt: Schau. Bildung – wohlverstan- den – ist gelassenes Wahrnehmen von Wirklichkeit. Kontemplative Verfahren, in denen die Aufmerksamkeit sich in et- was versenkt, sind zwar eine Methode unter anderen, aber sie können den Sinn von Lernen und Bildung erhellen. Bei allen Möglichkeiten, Unterricht in Zeitmaße zu gießen, lässt sich nämlich ebenso auch empfehlen, dass der Leh- rende mit Betreten des Klassenzimmers seine Pläne zurückstellt, wenn er den Menschen begegnet, die ihm anvertraut sind, auf dass er aufmerksam wird für das, was sich jetzt in der Zeit ereignen wird. Alles hat dann seine Zeit, als ver- antwortete, gestaltete und vor allem er- lebte Zeit, die Sinn macht, weil sie für Bedeutsames verwendet wurde. Literatur Renate Girmes (2004): (Sich) Aufgaben stellen. Seelze Dr. Michael Fröhlich ist Hauptseminarleiter und Fachseminarleiter Philosophie, Dr. Gabriele Kandzora ist Hauptseminarleiterin, seit dem 1.2..2011 Leiterin der Abteilung Ausbildung (LIA). Hohe Weide 14, 20259 Hamburg E-Mail: michael.froehlich@li-hamburg.de gabriele.kandzora@li-hamburg.de