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Vier Thesen zu einem lernförderlichen Umgang mit Zeit in Unterricht und Referendariat

Hamburg macht Schule 4|2010 28 Thema Referendariat Alles hat keine Zeit oder Wenn niemand mehr Zeit hat, fehlt der Sinn von Lernen Folgen wir der biblischen Erkenntnis, al- les habe seine Zeit – wie jüngst Ole von Beust –, so könnte es im pädagogischen Kontext einfach darum gehen, sich sei- ne Zeit für Lerninhalte zu nehmen, und schon gelänge der alltägliche Unterricht. Ein Blick in Schulen genügt, um fest- zustellen, wie viel schwieriger dies ist und was hier vor allem fehlt: Zeit. Men- schen hetzen umher, versuchen sich im Multitasking, erledigen Wichtiges im Vorbeigehen; selbst Zeit für Reflexion wird als ›verlorene Zeit‹ erlebt. Warum? Antworten lauten: das AZM, wachsende Anforderungen bei schwin- denden Ressourcen und schließlich: für das ›Eigentliche‹, das Unterrichten, blei- be nicht genug Zeit. Und wie erleben Referendare dies? An andere Zeitrhythmen als die der Schule gewöhnt, geben sie nun eige- nen Unterricht und fühlen, sie sollen in 45 Minuten ›Reformunterricht‹ ma- chen. Anfangs betreiben sie oft hohen Zeitaufwand bei der Vorbereitung, um dann festzustellen, dass es sich nicht unbedingt ›gelohnt‹ hat, denn: Schüler machen nicht, was sie sollen, das Thema trägt nicht, was es verspricht, die Stunde geht schneller um als gedacht … ›Pausen‹ zwischen den Unterrichts- tagen bieten Seminare, Module, Leh- rertrainingsgruppen. Es gibt ›Zeit‹ für Reflexion, z.B. über ›Zeitmanagement‹. Parallel läuft der Film ab‚ ›eigentlich müsste ich Unterricht vorbereiten‹, so entsteht die Erwartung nach Rezep- turen. Credo: möglichst schnell mög- lichst fit werden für’s operative ›Ge- schäft‹ des nächsten Tages! Examensstress setzt früh ein und Zeit erscheint knapp. Am Ende wird nach fast jeder Lehrprobe beklagt, man hätte mehr Zeit haben müssen. Fehlende Zeit allent- halben in Ausbildung und Schule. Und es ist ja wahr: Wer aktuelle An- sprüche und Auflagen an Unterricht und Schule in additiver Weise erfüllen wollte – und so versuchen es manche –, der hätte pausenlos zu tun und der Geist einer neuen Lernkultur bliebe zudem unverstanden. Einerseits scheint also Zeit schlicht zu fehlen. Andererseits wird sie »gegeben«: in Form von Stunden- und Seminar- plänen, Rhythmisierungen von Tagen, Wochen und Schuljahren – Schule (und Ausbildung) besteht geradezu darin, dass Zeit zum Lernen gegeben wird. Es geht also nicht einfach um fehlende Zeitquanten, sondern um ein Fehlen von Qualität in der Zeit und damit um ein Fehlen von Sinn und Selbstbestimmung. Denn wenn die qualitative Gestaltung von Zeit auf der Strecke bleibt, stellt sich ein Erleben ein, in dem die Zeit über einen verfügt. Alles hat seine Zeit oder Lernen braucht Zeitsouveränität Zeit zum Lernen hat Anfang und Ziel. Die früher erlebte Zerreißprobe zwi- schen verfügbarer Zeit und Stofffülle wird heute zu einer zwischen Zeit und zu erfüllenden Zielen: Standards und zu erreichende Kompetenzen samt Ni- veaustufen. Dabei wird die Vorstellung erweckt, es gehe um einen linearen Ablauf, in dem ein Produkt in einer be- stimmten Zeit hervorgebracht werden soll. Lernen und Zeiteinsatz erscheinen als Mittel zum Zweck analog einem Pro- duktionsvorgang. Lernen gilt als Etappe auf einer Strecke, die möglichst schnell überwunden werden muss. Eine Fehlvorstellung! Denn Lernen bedarf der Vergegenwärtigung von Pro- blem und Aufgabe, der Erinnerung an vergangene Erfahrungen und verfügbare Strategien und es bedarf der Voraus- schau auf Neues. Es bewegt sich also im- mer in verschiedenen Zeitdimensionen. Nachhaltig wirksames Lernen bedarf außerdem der Verarbeitung und Refle- xion. Es erfordert ein Bewusstsein über Lerngründe, -bedeutungen und mögliche Anwendungen des Erlernten. Nur so kann es in Bekanntes integriert und in Handeln umgesetzt werden, nur so wird es als Kompetenzerwerb wirksam. Lernen ist als bewusste Gestaltung von Zeit also selbstbestimmtes Tun. Wer lernt, ist weder Produzierender noch Werkzeug. Lernzeit, linear und instru- mentell verstanden, ist leere und dann wirklich ›verlorene Zeit‹, Lernen ohne Reflexivität ›Planerfüllung‹. Lernen ge- lingt nur, wenn Lernende Zeitsouverä- nität in der ›zur Verfügung stehenden Zeit‹ haben. Dies erscheint paradox – wie kann es dennoch gelingen? Alles hat seine Zeit oder Sinnstiftung erfolgt durch lernförderliche Didaktik Zunächst einmal lässt sich ein spiele- rischer Umgang mit Zeit empfehlen. Zeit bewusst zu dehnen – ›Jeder überarbei- tet seinen Text anhand der Kriterien mindestens 20 Minuten lang‹ – oder zu beschleunigen – ›Entscheide in fünf Sekunden, wo auf der Folie der Fehler liegt‹ – variiert Zeiterwartungen und schafft Aufmerksamkeit. Auch Tem- powechsel können Zeiterleben struk- turieren und für Abwechslung sorgen. Und schließlich kann dem, der glaubt, nie genügend zu schaffen, empfohlen werden, Spielraum zu lassen für refle- xive Fragen über Gelerntes und nächste Schritte. Und daraus am nächsten Tag eine Stunde zu gestalten, auch das kann gegen Zeitstress hilfreich sein. Tatsächlich bemisst sich die Zeit des Lernens am Lerngegenstand – Inhalte, Aufgaben, Themen sind von unter- schiedlicher Komplexität und Tiefe; sie verlangen nach ›ihrer‹ Zeit. »Alles hat seine Zeit?« Vier Thesen zu einem lernförderlichen Umgang mit Zeit in Unterricht und Referendariat