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Was sich Bezirksamtsleiter und andere Beteiligte wünschen

14 Thema Einleitung Nachdenkens, des spielerischen Aus- probierens von Lösungsvorschlägen, der ergebnisorientierten Diskussion und des ergebnisoffenen Gesprächs. Der vielfach vorgetragene Wunsch zur »Entrümpelung der Lehrpläne« hat nicht zuletzt hier eine seiner Wur- zeln. Nebenbei und zur Erinnerung: Schule kommt ursprünglich von schola (scola), ae, f. (σχολή), die Muße, Feier, Ruhe von der Arbeit … Diese Argumentation wird vor allem von Gesellschafts- und Erziehungs- wissenschaftlern und von Pädagogen vorgetragen. Das Verhältnis von Ler- nen und Zeit wird hier als zentrale Voraussetzung für die Entwicklung der Fähigkeiten und Begabungen der nachwachsenden Generation und da- mit für die gelingende Reproduktion einer demokratischen, friedlichen und gesunden Gesellschaft gesehen. Zwei widersprüchliche Logiken Bei genauerem Nachdenken fällt auf, dass sich die beiden ersten Aspekte von den beiden letzten in einem zentralen Punkt unterscheiden: Die volks- und be- triebswirtschaftliche Betrachtungsweise legt den Akzent auf den quantitativen As- pekt von Zeit als Uhrzeit, die in Arbeits- stunden berechnet werden kann, die sozi- alpolitische und pädagogische Sichtweise betont den qualitativen, inhaltlichen As- pekt von Zeit als Gestaltungs- und Erfah- rungselement (Grundlegendes zu beiden Zeitformen bei Elias 1988). Damit rückt der bekannte Dauerkon- flikt ins Blickfeld: Die einen verweisen auf die Kosten, die anderen sprechen von den Inhalten. Eine Chance zur Ver- ständigung setzt voraus, dass beide in der Lage sind, einen Perspektivenwech- sel vorzunehmen und die Sichtweise des jeweils anderen nachzuvollziehen. Das gelingt übrigens manchmal – nicht im- mer! – besser, wenn Vertreter der beiden Sichtweisen sich in der Institution Schule als Eltern begegnen, denen die Lernbe- dingungen ihrer Kinder wichtig sind. Besonders interessant ist, dass die eine Logik bei konsequenter Durchfüh- rung ihrer Argumentation zum genau gegenteiligen Ergebnis als die andere kommt: Die ökonomische Logik fordert am Ende Beschleunigung der Ausbildung und weniger Zeit, die soziale und päd- agogische Logik Entschleunigung und mehr Zeit. Lösungsansätze Es gibt eine ganze Reihe Anzeichen da- für, dass sowohl in der Welt der Wirt- schaft als auch in der Welt der Schule ein Diskurs darüber begonnen hat, wie eine intelligente Verbindung der beiden be- schriebenen Logiken aussehen könnte, die diesen Widerspruch löst. Einzelne Schulen und Unternehmen sind bereits dabei, praktische Lösungsvorschläge zu erproben: • Berücksichtigung chronobiologischer Erkenntnisse durch einen flexiblen und offenen Beginn des Schultages ab 7.30 oder acht Uhr mit der Möglich- keit, das »Ankommen« individuell zu gestalten. Das formelle Lernen im Un- terricht beginnt um neun Uhr. (Neben bekannten Beispielen reformpädago- gischer Versuchsschulen wie der La- borschule Bielefeld gibt es inzwischen wohl in jedem Bundesland Regelschu- len – insbesondere Ganztagsschulen –, die den Anfang des Schultages in ähn- licher Weise gestalten. Dabei zeigt sich in der Praxis, dass manche Stunden- planmacher der Versuchung nicht wi- derstehen können, diese »leere« Zeit z.B. durch Förderkurse zu verplanen – einer Art vorgezogenen Nachsitzens. Sie opfern damit die chronobiologisch wertvollen Zeiträume einem betriebs- wirtschaftlich motivierten Effektivi- tätsdenken alten Typs – selbstver- ständlich in bester Absicht!) • Der pädagogische Sinn kreativ gestal- teter Schulhöfe und eines rhythmisier- ten Tagesablaufs, der den Bewegungs- und Entspannungsbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen Rech- nung trägt, ist inzwischen allge- mein anerkannt – mindestens bei den Befürwortern der Ganztagsschule. • Die Erkenntnis, dass mehr und besser gestal- tete Pausen – insbeson- dere die Mittagspause inklusive des Mittags- schläfchens – die Arbeitsfreude und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter steigern, ist in fortgeschrittenen Un- ternehmenskulturen immer häufiger anzutreffen. Manche Firmen (z. B. IBM, Apple, Montblanc) haben »Re- lax-Center« eingerichtet und denken allen Ernstes über Liegesessel als Bü- ro-Grundausstattung gegen die chro- nobiologisch normale Tagesmüdigkeit nach (vgl. den Schlafforscher Jürgen Zulley in Spiegel-Wissen 2010, S. 20). Noch klingt es fremdartig, diese Ansätze intelligenter Arbeitsplatzgestaltung mit der Frage der Gestaltung von Lehrerar- beitsplätzen in Ganztagsschulen zusam- menzudenken. Besondere Chancen der Schule Schule ist keine Insel, sondern Teil einer Gesellschaft, deren Produktionsweise die Beschleunigungsproblematik her- vorgebracht hat und täglich neu repro- duziert. Sie ist als größte Institution dieser Ge- sellschaft auch Teil der Problemlösung, mindestens der Suche danach. Als Ge- meinwesen im Gemeinwesen verfügt sie über eine begrenzte Autonomie auch im Bereich der Zeitsouveränität. Sie ist ein eigener Erfahrungsraum, in dem ein »Zipfel der besseren Welt« (Hartmut von Hentig) konkret erfahren werden kann. Hier gibt es eine relativ geschützte soziale Umgebung, deren zentrales Ziel es ist, gelingendes Zusammenleben erfahrbar zu machen. Das gilt für die Gestaltung der Räume, die Umgangsformen der Menschen und den Umgang mit Zeit. Würde, Respekt, Ehrfurcht vor dem Leben, Gerechtig- keit,Der pädagogische Sinn kreativ gestal teter Schulhöfe und eines rhythmisier- ten Tagesablaufs, der den Bewegungs- und Entspannungsbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen Rech- nung trägt, ist inzwischen allge- keit, Hamburg macht Schule 4|2010